Von der Herzoperation Silvester 2005 zum Marathon Oktober 2007

Sonntag, 16. Mai 2010

Philosophen, Laufstrecken und andere Dinge

Ich war zwar seit meinem letzten Eintrag ein paarmal online, hatte aber nicht die Musse, um einen "ganzen" Blogeintrag zu schreiben.

Ich war bei einem Freund von mir, ehemaliger Schulkamerad, der in Ituzaingó wohnt, einem Vorort von Buenos Aires. Er arbeitet bei tl9 als Kameramann, einem Sender, der gern und vorwiegend über blutige Auseinandersetzungen, Überfälle, Geiselnahmen berichtet. Er hat mir versprochen, mich mal mitzunehmen, aber bisher hat sich das nicht ergeben. Statt dessen, habe ich mir den Sender einen halben Vormittag angeschaut und bin nun einigermassen über die Halbwelt Argentiniens im Bilde.

Bei einer Reportage über eine Strasse, die zur Raserstrecke mutiert sei, wurden auch die Nachbarn befragt, die die Lage beschreiben sollten. Dabei fiel mir auf: der Argentinier ist ein Philosoph, schon immer gewesen. Vor der Kamera gestellt, gaben nicht wenige dieser Nachbarn ihre Meinung zum Grundübel des Problems. "Die Argentinier waren schon immer so, dass sie sich nicht an Vorschriften halten wollen.", lautete zum Beispiel eine Aussage. Das habe ich dann auch auf anderen Sendern beobachtet: befragt zu irgend einem Thema, geben die Argentinier gern ihre Meinung zu Geschichte, Dasein und Charakteristik des argentinischen Volks oder der Menschheit allgemein. So sind wir, die Argentinier.

Bei meinem vorletzten Lauf habe ich den Rat meines Bruders befolgt (gracias, Bempi!) und bin mit dem Bus zu einem neu geschaffenen Gebiet am Flussufer gefahren: den Paseo de la Costa. Neu ist er nur für mich, denn er hat schon einige Jahre auf den Buckel; ich hatte ihn schon vor ein paar Jahren besucht, aber vergessen, dass es ihn gibt. Früher war dieses Gebiet einfach nur dreckig, voller Müll und stinkigen Abflüssen; das Ufer wurde mit Bauschutt aufgefüllt und begrünt. Heraus kam ein nettes Naherholungsgebiet, das allerdings schon seine beste Zeit hinter sich hat. An Stellen, die der Regen oder überschwemmungen ausgewaschen hat, kann man sehen, dass nicht nur Bauschutt verbaut wurde, sondern auch normaler Hausmüll: Plastikteile, Flaschen, Müll eben. An den Rändern fehlt die Grasnarbe, man kann diese alte Müllansammlung sehen, und das animiert die Argentinier nun dazu, auch neuen Müll abzulegen. Unschön. Dazu kommt, dass die Regierung Entwässerungskanäle gebaut hat, um die Viertel oberhalb zu entlasten, die nun ungeklärte Abflüsse in den Fluss leiten - mitten im Naherholungsgebiet. Aber so sind nun mal wir Argentinier und waren schon immer so.

Zum Joggen war das Gebiet bedingt geeignet, denn schon nach 34 Minuten hatte ich sämtliche Möglichkeiten abgesteckt. Ich lief also zurück, anstatt den Bus zu nehmen, und hatte nach etwa einer Stunde 9,5km durchlaufen.

Gestern lief ich dann einfach aufs Geratewohl durch die Gegend, um mich ein bisschen umzusehen. Immer wieder schön, erkennen zu können, wie sich die Stadt und vor allem dieses Viertel mit der Zeit verändert hat. Ich lief wieder etwa 9,6km, diesmal in 56 Minuten.

Was mir aufgefallen ist: der Río de la Plata ist im Leben der Porteños derart bestimmend, dass einige Stadtpläne nicht wie überall sonst mit dem Norden nach oben gedruckt werden, sondern mit dem Fluss nach unten. Der Norden liegt dann rechts, und das macht es etwas schwierig, sich zu orientieren, bevor man sich daran gewöhnt hat.

1 Kommentar:

Blumenmond hat gesagt…

Interessant - Argentinien aus Sicht eines Argentiniers mit Abstand. Freue mich auf mehr.